Wie die Regulierung von Medizinprodukten die Patientensicherheit erhöht
Hersteller von Medizinprodukten müssen die Konformität ihrer Produkte mit den geltenden gesetzlichen Vorgaben sicherstellen. Doch wer überprüft dies und welche Konsequenzen drohen bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben?
Nicht konforme Medizinprodukte schaden in erster Linie den Patienten. Um diese besser zu schützen, werden ab Mai 2021 mit der Medizinprodukteverordnung strengere Anforderungen durchgesetzt, die für alle beteiligten Akteure mehr Verbindlichkeit schaffen.
Inhalt:
Medizinprodukte sind ein wichtiger Teil des Gesundheitswesens
Medizinprodukte sind in allen Bereichen des Gesundheitswesens unabdingbar, so sind sie aus Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation nicht mehr wegzudenken. Die Frage, ob ein Produkt ein Medizinprodukt ist oder nicht, kann in manchen Fällen schwierig zu beantworten sein. Nicht nur physische Geräte wie Herzschrittmacher oder Skalpelle sind Medizinprodukte. Auch Software, z.B. eine Smartphone-App, kann ein Medizinprodukt (sogenannte Software as Medical Device SaMD) sein – je nach Funktion und Verwendungszeck. Besonders Gesundheits- und Fitness-Apps befinden sich häufig in einer Grauzone (mehr zu Definition und Abgrenzung hier, mehr zu Software hier).
Die Antwort auf die Frage nach Medizinprodukt oder nicht, hängt dabei häufig von Details ab: schon einzelne Funktionen oder auch nur die Formulierung der Zweckbestimmung können hier entscheidend sein. Die Auswirkungen sind dabei nicht zu unterschätzen: die Entwicklung von Produkten gemäss den Anforderungen der anwendbaren Regulierung ist aufwändig. Mit dem Inkrafttreten der Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 (Medical Device Regulation MDR) im Mai 2021 wird zudem die Risikoklassifizierung von gewissen Produktarten, insbesondere von SaMD, verschärft.
Medizinische Innovationen spielen eine bedeutende Rolle für eine hochwertige Gesundheitsversorgung. Die Computertechnologie und das Internet haben auch in der Medizintechnik Einzug gehalten, Produkte und Produktion verändert und dazu beigetragen, die Lebensqualität von Patienten sowie die Effizienz der Versorgung zu steigern. Neue Technologien (wie beispielsweise Nanotechnologie oder Produktionsverfahren wie 3-D-Druck) können neben vielen Chancen auch bis dato unbekannte Risiken und Gefahren bergen. Daher ist es besonders wichtig sicherzustellen, dass betroffene Medizinprodukte sicher und leistungsfähig sind und somit den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Hersteller von Medizinprodukten bewegen sich folglich in einem streng regulierten Rahmen und mit der Implementierung der Medizinprodukteverordnung im Mai 2021 wird unter anderem versucht den Innovationen gerecht zu werden. Die Schweiz passt ihre Medizinprodukteverordnung an die neue Gesetzgebung der EU an, um den Marktzugang für Schweizer Hersteller zu sichern.
Der regulatorische Rahmen stellt Anforderung an Hersteller, vor und nach der Markteinführung
Der regulatorische Rahmen der EU sieht vor, dass Hersteller ihre Produkte einer Konformitätsbewertung unterziehen und konforme Produkte klar sichtbar mit einem CE-Zeichen kennzeichnen. Je höher das Gefährdungspotential, desto mehr Nachweis betreffend Sicherheit und Leistungsfähigkeit muss der Hersteller erbringen und vor und nach dem Markteintritt belegen.
Produkte mit einem geringen Risiko für Patienten und Anwender, also Produkte der Klasse I, können durch den Hersteller selbst mittels Konformitätserklärung mit der CE-Kennzeichnung versehen werden. Mit der Konformitätserklärung bestätigt der Hersteller, dass das Produkt alle grundlegenden Anforderungen des Anhangs I der Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG, respektive ab Mai 2021 die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen des Anhangs I der MDR, erfüllt. Erstinverkehrbringer von Medizinprodukten der Klasse I unterstehen aber einer Meldepflicht und müssen ihre Produkte vor der Markteinführung bei der nationalen Behörde im Land ihres Hauptsitzes melden. Mehr zu Anforderungen an Medizinprodukte der Klasse I erfahren Sie hier.
Produkte mit einer höheren Risikoklassifizierung müssen hingegen ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen. Dabei wird die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen durch eine private Benannte Stelle (Notified Body) überprüft. Diese Benannten Stellen wiederum werden von den jeweils zuständigen Behörden der EU-Mitgliedstaaten gegenüber der europäischen Kommission benannt und von den nationalen Behörden geprüft.
Benannte Stellen, Behörden und professionelle Anwender haben definierte Aufgaben
Die CE-Kennzeichnung an sich involviert also keine direkte behördliche Zulassung. Trotz Prüfung durch die Benannte Stelle, verbleibt die Verantwortung für die Konformität mit den gesetzlichen Vorgaben beim Hersteller. Die Regulierung von Medizinprodukten stellt aber sicher, dass Benannte Stellen und Behörden ihre spezifischen Aufgaben erfüllen. In der Schweiz regeln das Heilmittelgesetz (HMG) und die Medizinprodukteverordnung (MepV) zudem die Pflichten von professionellen Anwendern von Medizinprodukten.
Der Hersteller hat die Pflicht das Medizinprodukt auch nach der Markteinführung zu überwachen und Probleme und Vorfälle zu melden (Postmarket Surveillance (PMS)). Dadurch können Hersteller Sicherheitsmassnahmen und Rückrufe durchführen (Vigilance). Auch diesbezüglich gibt der regulatorische Rahmen genaue Vorgaben, um die Patientensicherheit während der gesamten Gebrauchsdauer eines Produktes sicherzustellen. Aber nicht nur der Hersteller ist verpflichtet Vorfälle zu melden, auch Krankenhäuser und Ärzte werden in die Pflicht genommen, zudem werden Vorfälle auch vermehrt von Patienten gemeldet. Die neue Medizinprodukteverordnung nimmt alle Wirtschaftsteilnehmer in der Lieferkette (Hersteller, Bevollmächtigter, Importeur und Distributoren) in die Pflicht (mehr zu den Pflichten von Distributoren hier, und mehr zu den Pflichten der Schweizer Medizinprodukte-Importeure hier).
Die nationalen Behörden übernehmen in diesem System eine Überwachungsfunktion. Diese beinhaltet die Überwachung der Konformitätsbewertungsstellen, Inspektionen bei Firmen und Krankenhäusern sowie die im Land in Verkehr gebrachten Medizinprodukte. Behörden gehen Meldungen zu nicht konformen Produkten und schwerwiegenden Vorkommnissen nach und beaufsichtigen klinische Versuche mit Medizinprodukten, die noch nicht marktzulässig sind. Bei Nichtkonformität kann die Behörde notwendige Korrekturmassnahmen durchsetzen.
Fehlerhafte Medizinprodukte machen Schlagzeile
Nebenwirkungen durch Medizinprodukte sind unvermeidbar, eine funktionierende Regulierung verlangt aber, dass vermeidbare Schäden verhindert werden. Kommen Patienten zu Schaden, wird häufig das ganze System in Frage gestellt, da es vor allem Extrembeispiele in die Schlagzeilen schaffen, so zum Beispiel der PIP-Skandal, die Implant Files und die Verwendung von rostigen und fehlerhaften Kanülen in Schweizer Krankenhäusern.
Die Frage nach der Verantwortlichkeit einer Benannten Stelle wurde im Fall um die gesundheitsgefährdenden Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) aufgeworfen und vom Europäischen Gerichtshof zumindest teilweise beantwortet. Eine deutsche Patientin hat von der Benannten Stelle des Herstellers Schmerzensgeld verlangt, da diese bei der Prüfung des Herstellers die betrügerischen Machenschaften hätte aufdecken müssen. Der Fall wurde bis zum EuGH weitergezogen, der entschied, dass die Richtlinie der Benannten Stelle keine generelle Pflicht auferlegt proaktiv nach entsprechenden Hinweisen zu suchen (Produktprüfungen und unangekündigte Audits vorzunehmen und/oder Geschäftsunterlagen zu prüfen). Eine Benannte Stelle kann gemäss EuGH nur zur Verantwortung gezogen werden, wenn dieser Hinweise auf fehlerhafte Produkte oder ein Fehlverhalten des Herstellers vorliegen und ignoriert. Der Fall um die Brustimplantate beschäftigt Gerichte seit Jahren, das EuGH-Urteil legt fest, dass Benannte Stellen unter Umständen gegenüber Patienten haftbar sind, wenn sie ihre Pflichten verletzten.
Ende 2018 wurde die Recherche unter dem Titel Implant Files des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten veröffentlicht, die Missstände bei Implantaten und anderen Medizinprodukten aufdeckte. Auch bei diesem Skandal standen die Benannten Stellen im Mittelpunkt der Kritik, und damit auch das System der Zertifizierung durch private Institute. Dazu kommt, dass die Überwachung in vielen dieser Fälle nicht funktionierte, da Krankenhäuser Komplikationen nicht gemeldet haben.
Dass die Überwachung nur funktioniert, wenn alle Involvierten ihre Meldepflicht wahrnehmen, zeigt auch der im Januar 2018 öffentlich gemachte Fall von rostigen und fehlerhaften Kanülen in Schweizer Krankenhäusern. Swissmedic eröffnete ein Strafverfahren gegen die Krankenhäuser, die die Vorfälle nicht gemeldet hatten und ahndete die betroffenen Spitäler mit einer Busse. Die strafbaren Unterlassungen kamen im Verlauf der eingeleiteten Untersuchung zum Vorschein.
Es werden immer wieder Stimmen laut, dass mehr staatliche Kontrollen durchgeführt werden sollen und die Patientensicherheit durch das bestehende System nicht gewährleistet werden kann. Es ist verständlich, dass Extrembeispiele, die durch Schlagzeilen bekannt werden, zu Verunsicherungen führen und das Vertrauen in das Überwachungssystem, die Produkte und die Verlässlichkeit der Hersteller erschüttert.
Die neue Medizinprodukteverordnung lässt sich durchaus als eine Antwort der Gesetzgeber auf solche Skandale verstehen. Bis gesetzliche Änderungen aber in Kraft treten, braucht es schnellere Lösungen. So hat die EU aufgrund des PIP-Skandals Sofortmassnahmen eingeleitet und die nationalen Behörden aufgerufen, die Kontrollen der Benannten Stellen zu verschärfen und die Marktüberwachung durch Stichproben zu verstärken.
Welche Konsequenzen drohen beim Inverkehrbringen von nicht konformen Medizinprodukten in der Schweiz?
Swissmedic ist das für die Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verantwortliche Institut in der Schweiz. Swissmedic stellt im Rahmen der Marktüberwachung sicher, dass Medizinprodukte den Vorschriften entsprechen, nimmt Verdachtsmeldungen entgegen und führt Kontrollen in Form von Stichproben oder Inspektionen durch.
Die Vollzugsorgane, allen voran Swissmedic aber auch die Kantone und Zollorgane, sind befugt, mittels Verwaltungsmassnahmen gegen nicht konforme Medizinprodukte vorzugehen. Diese Massnahmen reichen von Beanstandungen über Verkaufsverbote bis hin zur Schliessung von Betrieben.
Das Inverkehrbringen von Medizinprodukten, die den rechtlichen Anforderungen des Heilmittelgesetztes nicht entsprechen, erfüllt einen Straftatbestand, der mit Gefängnisstrafe oder Busse bis zu 200‘000 CHF geahndet werden kann.
Zudem drohen bei durch ein Produkt verursachten Schäden gemäss dem Obligationenrecht und der Produkthaftpflicht auch haftungsrechtliche Konsequenzen. Sind diese Schäden durch ein Medizinprodukt entstanden, welches nicht zertifiziert und nicht nach den gesetzlichen Vorlagen hergestellt wurde, ist es dem Hersteller zudem nur schwer möglich zu beweisen, dass nicht ein Produktfehler für die Schäden verantwortlich ist.
Ein Medizinprodukt auf den Markt zu bringen, dass den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht (fehlerhaft ist oder nicht richtig gekennzeichnet), kann also gravierende Folgen für den Hersteller haben. Aber auch Leistungserbringer wie Spitäler oder Ärzte sind in der Verantwortung zu überprüfen, dass z.B. von ihnen eingesetzte Medizinprodukte entsprechend zertifiziert wurden. Tun sie das nicht, verstossen sie damit gegen ihre Sorgfaltspflicht und machen sich strafbar.
Betreffend SaMD hat sich der Bundesrat nach einem Urteil des EuGH spezifisch zu den Konsequenzen für ein nicht konformes Inverkehrbringen geäussert. Darin hat er klar festgehalten, dass auch Software ein Medizinprodukt sein kann und das CE-Zeichen tragen muss und dass es sich bei Falschdeklaration nicht um ein Kavaliersdelikt handelt.
(letzte Aktualisierung: April 2020)
Bilder: turgaygundogdu, Andy Dean Photography/Shutterstock
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