Sprachliche Anforderungen der EU-MDR — was Hersteller und Distributoren wissen müssen
Mit der Einführung der Medizinprodukteverordnung EU-MDR soll die Patientensicherheit erhöht werden. Eine wichtige Komponente bildet dabei die korrekte Anwendung von Medizinprodukten. Dafür müssen sich professionelle Anwender wie auch Laien auf verständliche Produktinformationen und Gebrauchsanweisungen verlassen können – eine Herausforderung mit einer Regulierung, deren Geltungsbereich 24 Amtssprachen umfasst.
Die EU-MDR nimmt die Hersteller und Händler zwar stärker in die Pflicht, überlässt die Anforderungen an die akzeptierten Sprachen jedoch den Mitgliedstaaten. Hersteller und Händler müssen sich deshalb mit unterschiedlichen nationalen Anforderungen auseinandersetzen, um ihre Produktlabels und Gebrauchsanweisungen konform zu gestalten. Lesen Sie mehr zur Rolle des Händlers in der EU-MDR.
Wichtige Erkenntnisse:
- Die EU-MDR überlässt die Festlegung der sprachlichen Vorgaben den einzelnen Mitgliedstaaten
- Sie betreffen die Kennzeichnung von Medizinprodukten, Verpackungen, Gebrauchsanweisungen, Marketingmaterialien und andere Informationen
- Hersteller müssen die sprachlichen Vorgaben der EU-MDR für jedes Land, in dem sie Produkte vermarkten wollen, anpassen
- Händler müssen die Einhaltung der Vorschriften durch Prozesse dokumentieren – die Einführung eines QMS wird empfohlen
Inhalt:
Welche sprachlichen Vorgaben macht die EU-MDR?
Ein Blick in die EU-MDR zeigt, dass sie die Hersteller in Art. 10 Abs. 11 ganz grundlegend dazu verpflichtet, die Informationen in einer oder mehreren vom Mitgliedstaat, in dem das Produkt zur Verfügung gestellt wird, festgelegten Amtssprache(n) beizulegen. Nebst Anforderungen an die Kennzeichnung wird zudem gefordert, dass diese Angaben für die vorgesehenen Anwender oder Patientinnen klar verständlich sind. Ein bisschen spezifischer wird die EU-MDR im Anhang I, Grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen (englisch GSPR), wo in Kapitel 3 die Anforderungen an die mit dem Produkt gelieferten Informationen ausgeführt werden. In Hinblick auf die sprachliche Regelungen ist vor allem Artikel 23.1 a) von Interesse:
„Medium, Format, Inhalt, Lesbarkeit und Anbringungsstelle der Kennzeichnung und der Gebrauchsanweisung eignen sich für […] die technischen Kenntnisse, die Erfahrung, Ausbildung oder Schulung der vorgesehenen Anwender. Insbesondere ist die Gebrauchsanweisung so zu verfassen, dass sie von dem vorgesehenen Anwender ohne Schwierigkeiten verstanden wird, und gegebenenfalls mit Zeichnungen und Schaubildern zu ergänzen.“
Die EU-MDR nimmt damit keine klare Unterscheidung zwischen professionellen Anwenderinnen und Laien vor, sondern verweist auf relative Werte, die es bei der Erstellung von Gebrauchsanweisung und Informationen zu beachten gilt, ohne diese genauer zu spezifizieren. Auch mit dem Passus, dass die Information „ohne Schwierigkeiten verstanden wird“ stellt die EU-MDR keine konkreten sprachlichen Anforderungen. Eine deutliche Anweisung folgt hingegen in Abschnitt c), welcher verlangt, dass die Kennzeichnungen für Menschen lesbar vorgelegt werden müssen. Für weitere Informationen zurSprachenregelun gmuss auch Anhang II der EU-MDR konsultiert werden. In den Ausführungen zur Technischen Dokumentation findet sich in Artikel 2 nochmals der Hinweis, dass die Kennzeichnung wie auch die Gebrauchsanweisung „in den Sprachen, die in den Mitgliedstaaten akzeptiert werden, in denen das Produkt verkauft werden soll“, vorliegen muss.
Diese Vorgabe kann teilweise umgangen werden, indem auf international anerkannte Symbole und Identifizierungsfarben verwiesen wird. „Wo dies angebracht ist“, gibt die EU-MDR in Anhang I vor, die bereitgestellten Angaben in dieser Form zu machen, wobei sie harmonisierten Normen oder Spezifikationen entsprechen müssen. Die Revision der ISO 15223-1:2016 Medizinprodukte: Bei Aufschriften von Medizinprodukten zu verwendende Symbole, Kennzeichnung und zu liefernde Informationen – Teil 1: Allgemeine Anforderungen liegt als Entwurf vor (ISO/FDIS 15223-1 (Ed 4)). Zudem wurde die neue Norm ISO 20417:2021 Medizinprodukte – Anforderungen an allgemeine Informationen des Herstellers veröffentlicht, welche ebenso wie ISO 15223-1:2016 in den Entwurf des standardisation request der Europäischen Kommission aufgenommen wurde. Falls für den abzudeckenden Bereich keine solchen vorliegen, müssen die Symbole oder Identifizierungsfarben aber in der Produktdokumentation erläutert werden, womit sie wieder den sprachlichen Vorgaben unterliegen.
Welche Informationen sind davon betroffen?
Kennzeichnung, Verpackung und Gebrauchsanweisung
Nur wenig konkreter wird die EU-MDR, wenn es darum geht, die betroffenen Informationen zu identifizieren, welche von der Sprachenregelung betroffen sind. Das betreffende Kapitel III im Anhang I fordert:
„Jedem Produkt werden die notwendigen Angaben beigefügt, die die Identifizierung des Produkts und des Herstellers ermöglichen, sowie alle für den Anwender oder gegebenenfalls dritte Personen relevanten Informationen über die Sicherheit und Leistung des Produkts.“
Diese Informationen dürfen auf dem Produkt, auf der Verpackung oder in der Gebrauchsanweisung angebracht werden. Zudem hält die EU-MDR fest, dass diese Informationen auch auf der Website des Herstellers – wenn er eine solche unterhält – zur Verfügung stehen und dort aktualisiert werden müssen. Bezüglich der eIFU gilt immer noch die Verordnung (EU) Nr. 207/2012 der Kommission über elektronische Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte, bis diese von einer Durchführungsrechtsakte gemäss EU-MDR abgelöst wird. In den Ausführungen zur Technischen Dokumentation in Anhang II findet sich zudem eine Auflistung, die Informationen der Hersteller in den jeweiligen Amtssprachen enthalten muss, namentlich die Kennzeichnung(en) auf dem Produkt und seiner Verpackung (Einzelverpackung, Verkaufsverpackung, Transportverpackung) sowie die Gebrauchsanweisung.
Grafische Benutzeroberfläche von Software
An dieser Stelle ist zu beachten, dass bei Stand-alone Software und Apps die Benutzeroberfläche (GUI) als Bedienungsanleitung gilt, wenn ansonsten keine solche mitgeliefert wird. Damit fällt sie in den Geltungsbereich des EU-MDR Art. 10 Abs. 11 und muss entsprechend in den festgelegten Amtssprachen vorliegen.
Marketingmaterialien
Nicht explizit erwähnt werden in der EU-MDR hingegen Marketingmaterialien. In EU-MDR Art. 2 Abs. 13, 14 wird die Gebrauchsanweisung definiert als „vom Hersteller zur Verfügung gestellte Informationen, in denen der Anwender über die Zweckbestimmung und korrekte Verwendung eines Produkts sowie über eventuell zu ergreifende Vorsichtsmaßnahmen unterrichtet wird“, die Kennzeichnung als „geschriebene, gedruckte oder grafisch dargestellte Informationen, die entweder auf dem Produkt selbst oder auf der Verpackung jeder Einheit oder auf der Verpackung mehrerer Produkte angebracht sind“. Die EU-MDR stellt damit sehr breit gefasste Definitionen zur Verfügung, welche die Umsetzung für die konkrete Sprachenregelung wiederum den einzelnen Mitgliedstaaten überlässt. Mit einem Blick auf andere Regularien kann jedoch festgehalten werden, dass Marketinginformationen grundsätzlich zur Kennzeichnung gezählt werden und dementsprechend je nach Anforderung der einzelnen Länder auch übersetzt werden sollten, spezifisch wenn sich die Informationen auf Sicherheit und Leistung oder das Nutzen-Risiko-Verhältnis bezieht.
Das gleiche gilt für den Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leistung, wie er in MDR Artikel 32 gefordert wird: Auch er muss für den bestimmungsgemässen Anwender und, sofern relevant, für den Patienten verständlich verfasst sein und unterliegt damit der Sprachenregelung der einzelnen Mitgliedstaaten, die gegebenenfalls eine Übersetzung in Amtssprachen fordern.
Hersteller von Medizinprodukten kommen nicht darum herum, sich mit den Sprachanforderungen jedes einzelnen Landes auseinanderzusetzen
Wie setzen die EU-Mitgliedstaaten diese Vorgaben um?
Es ist nach den obigen Ausführungen nicht überraschend, dass die offenen Definitionen und wenig spezifisch ausformulierten sprachlichen Regelungen zu sehr unterschiedlichen nationalen Umsetzungen führen. Weil mit Einführung der EU-MDR den Mitgliedstaaten damit auch viel Verantwortung übertragen wird, haben zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht alle Länder die entsprechenden Gesetzestexte veröffentlicht. Die bereits zugänglichen Umsetzungen zeigen aber, dass die Sprachenregelungen tendenziell gleich bleiben, zum Teil jedoch genauer ausgeführt werden. Es lassen sich mit Blick auf die bisherigen Regulierungen unter der MDD sowie bereits veröffentlichten neuen Anforderungen in Bezug auf die Gebrauchsanweisung, welche meist den strengsten Auflagen unterliegt, folgende drei mögliche Umsetzungen kategorisieren:
- Per Gesetz muss ohne Ausnahme eine Übersetzung vorliegen.
- Per Gesetz kann Englisch ohne Bedingungen verwendet werden.
- Per Gesetz kann für professionelle Anwender unter bestimmten Konditionen Englisch verwendet werden.
Geltende Vorgaben in Norwegen
Erst kürzlich bestätigt wurden beispielsweise die Sprachenregelung in Norwegen, wo die bisherige Regelung bestehen bleiben wird. Norwegen verlangt grundsätzlich, dass die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Informationen auf Norwegisch vorliegen. Bei Medizinprodukten für klinische Untersuchungen darf auch eine andere Sprache verwendet werden. Sobald ein Medizinprodukt direkt von Patienten benutzt wird, sind norwegische Informationen zwingend. Ausnahmen sind möglich, müssen jedoch schriftlich beantragt werden. Die Regelung hält explizit fest, dass die Anforderungen sehr streng ausgelegt werden und das Gesuch gut begründet werden muss.
Geltende Vorgaben in Belgien
Auch Belgien hat in einem Entwurf eine strenge Auslegung der Sprachenregelung vorgelegt, bei welcher sämtliche Informationen für Laienanwenderinnen in allen Landessprachen (Französisch, Niederländisch und Deutsch) zur Verfügung gestellt werden müssen. Bei Produkten, die ausschliesslich von in Gesundheitsberufen tätigen Anwendern benutzt werden, können die Informationen ausnahmsweise auch in englischer Sprache bereitstehen, jedoch hat der Anwender das Recht, beim Hersteller die Informationen in der Landessprache seiner Wahl einzufordern. Diese beiden Länder unterscheiden damit in ihren Auslegungen zwischen professionellen Anwendern und Laienbenutzerinnen – eine Unterscheidung, welche die EU-MDR nicht vornimmt und aufzeigt, wie komplex sich die Situation für Hersteller im europäischen Binnenmarkt gestaltet.
Was bedeutet das für Hersteller?
Wie die skizzierten Beispiele zeigen, kommen Hersteller von Medizinprodukten nicht darum herum, sich mit den Sprachanforderungen jedes einzelnen Landes auseinanderzusetzen, in welchem sie ihre Produkte auf den Markt bringen möchten. Dies bedeutet auch, dass die internen Prozesse für die jeweiligen Länder entsprechend angepasst werden müssen, damit die Produkte mit korrekten Informationen in die jeweiligen Länder geliefert werden oder Anwender auf Nachfrage eine Gebrauchsanweisung in der Landessprache erhalten.
Welche Verantwortung müssen Händler übernehmen?
Für die Einhaltung der sprachlichen Vorgaben nimmt die EU-MDR auch die Händler und Importeure in die Verantwortung: Gemäss EU-MDR Art. 14 Abs. 2b müssen sie prüfen, dass die gemäss Art. 10 Abs. 11 erforderlichen Informationen vorliegen, was auch die Übersetzungen derselben betrifft. Dokumentierte Prozesse sind grundlegend, wenn es darum geht, über die Erfüllung dieser Anforderungen Rechenschaft abzulegen. Artikel 14 der EU-MDR gibt keine rechtliche Verpflichtung vor, dass ein Händler ein QMS einführen muss. Dies ändert sich aber, wenn er länderspezifischen Anpassungen an einem Medizinprodukt vornimmt, wie zum Beispiel die Übersetzung der Gebrauchsanweisung und weiterer Unterlagen. In diesem Fall übernimmt er die Verantwortung für diese und benötigt ein QMS, dass er von einer benannten Stelle zertifizieren lassen muss (EU-MDR Artikel 16).
Das bedeutet, dass alle Händler die Einhaltung ihrer Pflichten durch Prozesse sauber dokumentieren müssen. Daher rührt auch die allgemeine Empfehlung an alle Händler, ein QMS zu implementieren. Ein QMS bietet die Gewähr, dass nur gesetzeskonforme Medizinprodukte vertrieben werden, dass nicht konforme, fehlerhafte oder ungeeignete Produkte erkannt werden und dass die Rückverfolgbarkeit gewährleistet ist. Lesen Sie mehr zur Rolle des Händlers von Medizinprodukten in der EU-MDR.
Wie Decomplix helfen kann
Decomplix bietet Beratungsdienstleistungen in allen regulatorischen und qualitätssichernden Fragen im Zusammenhang mit Medizinprodukten.
Gerne unterstützen wir Sie mit unserem Team bei der Einhaltung der Regulierungsvorschriften sowie bei spezifischen Fragen zur EU-MDR oder der Sprachenregelung. Wir beobachten die Entwicklungen in allen Mitgliedsstaaten und unser Expertenteam steht Ihnen jederzeit zur Verfügung. Wenn Sie weitere Fragen haben zu Sprachenregelung und EU-MDR zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.
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